Eine Chronologie

Thomas Klagian

Am 11. März 1988, am 50. Jahrestag des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, wurde in Bregenz eine Gedenktafel für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft enthüllt. Noch eine Generation nach Kriegsende fiel die Erinnerung an diese dunkle Zeit schwer, die der Historiker Meinrad Pichler 1982 mit Blick auf die historische Aufarbeitung „eine unbeschreibliche Vergangenheit“ genannt hatte.

Seit damals wurden in Vorarlberg an verschiedenen Orten Erinnerungsmarken an Widerstand und Verfolgung gesetzt. Man gedachte der Opfer, also all jener, die als „Nichtarier“ deportiert und in Vernichtungslagern ermordet wurden, und all jener, die im Rahmen der so genannten Euthanasie oder aus anderen Gründen verfolgt und umgebracht wurden. Und man gedachte jener, die unter Todesgefahr Zivilcourage bewiesen und Menschlichkeit gezeigt haben, die von ihren Prinzipien, Werthaltungen und Anschauungen nicht abwichen und dafür mit ihrem Leben einstanden.

Mit bestimmten Formen des Widerstands tat sich die Öffentlichkeit aber sehr schwer. So wurden Wehrmachtsdeserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz pauschal als Vaterlandsverräter, Drückeberger und Feiglinge diffamiert. In Österreich bemühte sich das „Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ um deren politische und juristische Rehabilitierung. Dies ist schließlich am 21. Oktober 2009, 64 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, durch das vom Nationalrat beschlossene „Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz“ erreicht worden.

Bereits 2007 hatte Werner Bundschuh, der Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft, in einem Artikel in der Zeitschrift Kultur darauf hingewiesen, dass in Vorarlberg zwar in jeder Gemeinde Kriegerdenkmäler stehen, Deserteursdenkmäler aber nach wie vor fehlen würden. Im Herbst 2011 wurde in Dornbirn die ursprünglich für Deutschland konzipierte und um einen Vorarlberg-Teil ergänzte Wanderausstellung: „Was damals Recht war…“ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht gezeigt. Im Vorfeld dieser Ausstellung forderten die Bregenzer Grünen und die Johann-August-Malin-Gesellschaft im Rahmen einer Pressekonferenz die Errichtung eines Denkmals für die Vorarlberger Wehrmachtsdeserteure und Wehrdienstverweigerer. Als Aufstellungsort wurde Bregenz vorgeschlagen.

Im Herbst 2012 beauftragte der Bregenzer Bürgermeister Markus Linhart eine Arbeitsgruppe mit den Vorarbeiten. Der Arbeitsgruppe gehörten an: Werner Bundschuh (Historiker und Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft), Wolfgang Fetz (Leiter Abteilung Kultur, Landeshauptstadt Bregenz), Thomas Klagian (Bregenzer Stadtarchivar), Winfried Nußbaummüller (Vorstand Abteilung Kultur, Land Vorarlberg), Meinrad Pichler (Historiker) und Ruth Schnell (Künstlerin und Professorin an der Universität für angewandte Kunst Wien). In der Diskussion, welchen Zweck das Denkmal zu erfüllen habe, waren sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe darüber einig, dass es nicht nur an Wehrmachtsdeserteure gemahnen solle, sondern an alle, die Widerstand geleistet haben. Sie regten deshalb an, einen Wettbewerb zur Gestaltung eines Widerstandsmahnmals auszuschreiben, das an alle Formen des Widerstands und der Widersetzlichkeit erinnere – ausdrücklich auch an Wehrdienstverweigerung und Desertion. So hieß es folgerichtig im Text der Ausschreibung: „Das Mahnmal soll an all jene Vorarlbergerinnen und Vorarlberger erinnern, die dem nationalsozialistischen Unrechtsregime den Gehorsam verweigert oder aufgekündigt haben, im Besonderen an Wehrdienstverweigerer und Deserteure, an Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und an Bürgerinnen und Bürger, die gegenüber Verfolgten und Misshandelten trotz Verbots Menschlichkeit geübt haben.“

Am 21. November 2014 wurden Kunst- und Kulturschaffende aus Österreich und der Bodenseeregion in der ersten Phase des Wettbewerbs eingeladen, Ideen für die Gestaltung eines Widerstandsmahnmals einzureichen. Das Mahnmal sollte im öffentlichen Raum frei zugänglich zu sehen sein, wobei für den Standort Vorschläge unterbreitet werden konnten. Da die künstlerischen Medien nicht vorgeschrieben waren, musste das Ergebnis nicht notwendigerweise ein klassisches Denkmal oder Mahnmal sein. Möglich waren auch künstlerische Interventionen, Installationen, Performances, Internetprojekte und andere Formen der medialen Aufarbeitung, die allerdings im öffentlichen Raum ihren Niederschlag hätten finden müssen. Ein wichtiger Punkt der Ausschreibung war, dass sich die Absicht des Mahnmals dem Betrachter erschließen müsse.

Am 16. Februar 2015 begutachtete die Arbeitsgruppe Widerstandsmahnmal die 150 anonym eingereichten Ideenskizzen und Exposees. Neben der inhaltlichen Dimension spielten bei der Bewertung die künstlerische Qualität, die Wahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum und das Verhältnis zur Umgebung eine Rolle. Das hohe Niveau der eingereichten Vorschläge stellte die Arbeitsgruppe vor eine schwierige Aufgabe. Schließlich wurden, wie in der Ausschreibung vorgesehen, fünf Teilnehmende eingeladen, ihre Ideen in der zweiten Phase des Wettbewerbs zu Entwürfen auszuarbeiten und einer Jury vorzulegen, nämlich Stefan Amann, Catrin Bolt, Gabriela Klocker, Markus Oberndorfer und Nataša Sienčnik.

Am 21. April 2015 entschied sich die Jury einstimmig für den Entwurf „Fallblattanzeige“ der kärntner-slowenischen Medienkünstlerin Nataša Sienčnik. Der Jury gehörten an: Wolfgang Fetz (Leiter Abteilung Kultur, Landeshauptstadt Bregenz), Helmut Kuess (Architekt), Winfried Nußbaummüller (Vorstand Abteilung Kultur, Land Vorarlberg), Meinrad Pichler (Historiker) und Ruth Schnell (Künstlerin und Professorin an der Universität für angewandte Kunst Wien).

Der Siegerentwurf von Nataša Sienčnik wurde im Rahmen des „Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus“ am 5. Mai 2015 im Vorarlberger Landhaus der Öffentlichkeit präsentiert. Prof. Maria Fritsche, eine gebürtige Vorarlbergerin, die an der Universität von Trondheim lehrt, sprach zum Thema „Von der Verantwortung zum Widerstand. Ein Denkanstoß zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus“.

Am 14. November 2015 wurde das Widerstandsmahnmal am Bregenzer Sparkassenplatz im Rahmen eines Festakts feierlich enthüllt. Ágnes Heller, Überlebende des Holocaust und emeritierte Inhaberin des Hannah-Arendt-Lehrstuhls für Philosophie an der New School for Social Research in New York, hielt eine beeindruckende Festrede mit dem Titel: „Eine Welt, die Helden brauchte.“ Heldentum habe viel mit Liebe zu tun. Ein Held sei ein Mensch, der das, was ihm wichtig sei, für eine Liebe opfere, die alles andere übersteige. Und Heller zählte Vorarlbergerinnen und Vorarlberger auf, für die das zutraf. „So ehren wir Menschen, deren Namen und Taten wir kennen, aber auch namenlose gute Menschen. So ehren wir kämpfende Menschen, die einer starken Idee folgten, wie auch andere, die einfach nur anständig bleiben wollten, wieder andere, die Gewalt hassten und nicht mitmachen wollten, weil sie nicht mitmachen konnten.“

Für die Errichtung des Widerstandsmahnmals stand ein Budget von 90.000 Euro zur Verfügung. Die Kosten teilten sich das Land Vorarlberg, der Vorarlberger Gemeindeverband und die Landeshauptstadt Bregenz.

Zeitlicher Ablauf

4. November 2014 – Stadtrat beschließt Ausschreibung Wettbewerb
21. November 2014 – Start der Ausschreibung
16. Jänner 2015 – Abgabetermin Ideen (Phase 1)
16. Februar 2015 – Begutachtung Ideen durch Mitglieder der Arbeitsgruppe (Phase 1)
10. April 2015 – Abgabetermin Entwürfe (Phase 2)
21. April 2015 – Jury entscheidet sich einstimmig für den Entwurf „Fallblattanzeige“ von Nataša Sienčnik, dessen Realisierung dem Stadtrat zur Beschlussfassung empfohlen wird (Phase 2).
21. April 2015 – einstimmiger Beschluss durch den Stadtrat
5. Mai 2015 – Präsentation Siegerentwurf im Vorarlberger Landhaus
14. November 2015 – Enthüllung Widerstandsmahnmal am Bregenzer Sparkassenplatz

Ágnes Heller, geboren 1929 in Budapest, ist Überlebende des Holocaust. Sie studierte Philosophie an der Universität Budapest und wurde 1955 promoviert. Nach jahrzehntelanger politscher Unterdrückung und wissenschaftlicher Einschränkung emigrierte Heller 1977 nach Australien, wo sie in Melbourne Soziologie lehrte. 1986 wurde sie Hannah Arendts Nachfolgerin auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorate

Festrede von Ágnes Heller anlässlich der
Enthüllung des Widerstandsmahnmals — November, 2015